«The Paradox of Specificity» besiegelt einen Ansatz für neue Produkte, die von spezifischen Bedürfnissen ausgehen. Ein bekanntes Bild dafür ist: Man sollte ein neues Gepäckstück für Piloten nicht auch für die Passagiere entwerfen. Sprich: Die Bedürfnisse einer spezifischen Zielgruppe können zu Lösungen führen, die dann für eine viel breitere Käuferschaft nützlich und ansprechend sind.
Wendet man «The Paradox of Specificity» bei neuen Produkten an, ist es nicht unwahrscheinlich, dass am Ende ein Produkt entsteht, das auch noch einer viel grösseren Zielgruppe dienlich ist. Dazu kann man sich auch ein paar konkrete Beispiele anschauen, die verdeutlichen, warum ein spezifischer Ansatz grösser werden kann:
Beispiel Taschenmesser
Ein sehr bekanntes Beispiel für das «Paradoxon der Besonderheit» ist das Schweizer Taschenmesser, oder in der Schweiz auch Sackmesser genannt. Es ist sehr vielseitig einsetzbar: im Haushalt, beim Campen, bei der Arbeit oder auf Reisen. Es ist ein sehr beliebtes Geschenk und ist auf vielen Ebenen des Lebens einsetzbar.
Dieser Erfolg war aber ursprünglich gar nicht vorgesehen: Es war nämlich am Anfang für das Militär gedacht. Im 19. Jahrhundert wollte das Schweizer Militär seinen Soldaten ein praktisches Werkzeug zur Verfügung stellen. Es sollte den Dienst erleichtern, indem man damit Gewehre zerlegen und Konservendosen öffnen konnte. Der Erfinder, Karl Eisner, gründete dann sein Unternehmen Victorinox. Die Schweizer Firma stellt neben dem weltweit bekannten «Swiss Knife» auch Parfüm, Uhren und Küchenmesser her. Elsner erfand das Schweizer Sackmesser offiziell im Jahre 1891 und begann mit der Belieferung des Schweizer Militärs.
Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde das Sackmesser von den Amerikanern entdeckt und erlangte eine plötzliche Berühmtheit. Es wurde nicht mehr nur vom Militär, sondern auch von anderen Personen eingesetzt. Heute wird es von unzähligen Leuten auf der ganzen Welt verwendet und ist ein Kultobjekt schlechthin.
Beispiel Rollkoffer
Es ist kaum vorstellbar, doch früher gab es keine Rollkoffer. Man war mit einem Rucksack unterwegs oder mit einem alten Koffer, den man tragen musste. Erinnert euch an die Koffer eurer Grosseltern. Inzwischen ist der Rollkoffer weit verbreitet und ein gutes Beispiel für das «Paradoxon der Spezifität». Bereits in den 1970er-Jahren entwickelte Bernard Sadow ein Rollengepäck. Es hatte einen Lederriemen, mit dem man es hinter oder neben sich herziehen konnte.
Danach initiierte Robert Plath den Rollkoffer, so wie wir ihn heute kennen. Er brachte an der Seite Räder an und man konnte den Koffer aufrecht stossen. Das Besondere: Plath war Pilot und wollte den Transport seines Koffers vereinfachen. Deshalb war der Rollkoffer anfangs vor allem bei Piloten und Flugzeugbesatzungen beliebt. Doch dann wurde das Produkt auch von einem breiteren Publikum beachtet und bekannte Hersteller wie der deutsche Kofferhersteller Rimowa nahmen das Konzept auf. Heute ist der Rollkoffer beim Reisen nicht mehr wegzudenken.
Beispiel Internet
Das World Wide Web, das heute das Fundament unserer digitalisierten Gesellschaft bildet, war zu Anfang auch nicht für ein breites Publikum bestimmt, sondern diente zu Anfang militärischen Zwecken. Das offizielle Einführungsdatum ist auf das Jahr 1989 zurückzuführen. Der Erfinder ist Tim Berners-Lee, der es erstmals bei einer kleinen Benutzergruppe einführte. Er verbreitete es bei Wissenschaftlern und Akademikern an Universitäten, um ihnen die Arbeit zu erleichtern. Schliesslich wurde es immer verbreiteter und beliebter, bis die ersten grossen Webanbieter wie Netscape es einem breiten Publikum zugänglich machten.
Je spezifischer die Zielgruppe, desto besser das Produkt
Das Beispiel mit dem Rollkoffer zeigt die Theorie des «Paradoxon der Spezifität» sehr anschaulich auf. Je genauer man die Verhaltensweisen und Bedürfnisse der Zielgruppe kennt, desto besser wird das Produkt. Dabei kann man auch Alice Cooper mit ihrem Buch «The Inmates are Running the Asylum» zitieren. Sie beschreibt die Vorgehensweise bei dieser Methode wie folgt:
«Wenn Sie ein Produkt entwickeln wollen, das ein breites Publikum an Nutzern zufrieden stellt, dann möchte man die Funktionalität logischerweise nach möglichst vielen Nutzern anlegen. Auch, um damit möglichst viele Menschen zu erreichen.»
Sie sagt aber, diese Logik sei falsch. Man hätte viel mehr Erfolg, wenn man die Produktentwicklung nach einer bestimmten Zielgruppe oder sogar einer einzelnen Person ausrichtet.
Entwickler scheiterten daran, ein Produkt für alle möglichen Anwendungsfälle und Szenarien zu entwerfen. Dabei kann es rasch passieren, dass man sich verzettelt. Hätte der Pilot Robert Plath bei seiner Idee des Rollkoffers an Familien oder an Backpack-Touristen gedacht, dann hätte er nicht so einen praktischen Koffer erschaffen. Der Flughafen und seine Beschaffenheit boten ihm ein inspirierendes Umfeld, einen Koffer zu entwickeln, der sozusagen auf dem Boden «transportiert» wird.
Dazu sagt Cooper:
«Jedes Mal, wenn Sie die Funktionalität für einen weiteren Personenkreis erweitern, legen Sie jedem anderen Benutzer einen weiteren Stolperstein an Funktionen und Kontrollen in den Weg. Sie werden feststellen, dass die Funktionalitäten, die einigen Benutzern gefallen, die Freude und Zufriedenheit anderer beeinträchtigen.»
Wenn man zu viele Möglichkeiten miteinschliesst, zerstöre man so ein gutes Produkt. Wenn man aber sein Produkt auf eine bestimmte Persona einschränkt, dann kann diese tatsächlich befriedigt werden und findet Gefallen an dem Produkt.
«Sie können einen grösseren Erfolg erzielen, indem sie zehn Prozent des Marktes adressieren, und dafür dann 100 Prozent davon begeistert sind. Es mag kontraintuitiv erscheinen, aber die Gestaltung für einen einzelnen Nutzer ist der effektivste Weg, um eine breite Bevölkerung zufriedenzustellen.»
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