Die moderne Marktforschung, wie wir sie heute kennen, nahm ihren Ursprung in den 1930er-Jahren mit den Präsidentschaftswahlen in den USA. Die Zeitschrift «Literary Digest» hatte bei den Wahlen damals geschrieben, der republikanische Herausforderer Alfred Landon habe die Nase vorne. Das Magazin hatte eine breit angelegte Umfrage bei der Bevölkerung gemacht.
Die Vorhersage war falsch und warf einen Schatten auf die renommierte Publikation. Der amtierende Präsident Franklin D. Roosevelt blieb nämlich im Amt. Das damals junge «American Institute of Public Opinion» hatte durch den Sozialforscher George Gallup, der später als der Gründer der Marktforschung galt, das tatsächliche Endergebnis um wenige Prozentpunkte vorausgesagt. Und zwar mit weit weniger Aufwand als eine Umfrage.
Gallup hatte nämlich keine Massenbefragung gestartet, sondern eine neue Methode angewandt. Sie befragten nur einige Zehntausend Menschen, wählten diese aber sehr genau nach Alter, Geschlecht, Bildung und Berufsstand aus. Dieses Panel entsprach einem realistischen Durchschnitt der amerikanischen Bevölkerung, das Ergebnis fiel dadurch präziser aus als die willkürliche Befragung von zig Tausenden Leuten. Heute gehört Gallup nach wie vor zu den führenden Meinungsforschungsinstituten der USA und arbeitet für Institutionen und Unternehmen.
Repräsentativ statt Masse
Die Fehleinschätzung der Zeitschrift während der Präsidentenwahl und die neue Gallup-Methode krempelten die Marktforschung grundlegend um. Die repräsentative Stichprobe galt als neuer Standard und setzte den «straw polls», also der Strohfeuer-Umfrage, ein Ende.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es bei der Marktforschung nicht mehr nur um politische Voraussagen, sondern auch Unternehmen wollten mehr über ihre Kunden und Konsumenten herausfinden. Das Wirtschaftswunder machte die Unternehmen neugierig, und sie wollten ergründen, wie sie den Konsum und Verbrauch ankurbeln können. Auch die Hochschullehre begann sich zunehmend mit Markt- und Meinungsforschung zu beschäftigen.
Social Media ändert das Spielfeld
Diese schriftlichen und mündlichen Interviews wurden schliesslich durch das Telefon abgelöst, welches bis dahin repräsentativ galt und bis in die Neunziger Jahre hinein als Hauptinstrument der Marktforschung verwendet wurde. Ende der Neunziger Jahre gab es dann erstmals Online-Umfragen. Die Sozial- und Marktforscher begannen sich diese neue Kommunikationstechnik rasch anzueignen, weil sie günstiger und mit weniger Aufwand verbunden waren. Mit dem Aufkommen von Facebook und Co. änderte sich das Spielfeld abermals. Die Marktforscher mussten bei ihrer Forschung nicht mehr alles von Grund auf erfragen, sondern die Leute äusserten sich selbst zu ihren Konsumgewohnheiten oder politischen Einstellung auf den Sozialen Medien.
Aber auch dort gab es Verzerrungen - etwa wegen Doppel- oder Fake Accounts. Trotzdem trägt Social Media auch heute noch massgeblich zu der Marktforschung bei. Beliebt sind auch Markttest von neuen Produkten im Netz. Kunden können sich erstmals und vor der Einführung eines neues Produkts online dazu äussern, das Unternehmen vermeidet damit einen möglichen Flop, der an den Bedürfnissen des Kunden vorbei zielt und kann das Produkt allenfalls justieren. Kann das Unternehmen die Konsumenten überzeugen? Wie gross ist das Potenzial im Markt? Und wie gestaltet sich der optimale Preis?
Brücke zwischen Unternehmen und Konsument
Das Ziel der Marktforschung besteht vor allem darin, mit dem Konsumenten in Verbindung zu treten und seine Bedürfnisse zu erkennen - um daraus eine Nachfrage nach einem neuen Produkt zu bilden. Dafür gibt es fünf zentrale Elemente, welche die Marktforschung bedient:
- Anregung: Erste Impulse für Marketingbudgets
- Prognose: Wie verändert sich der Markt, Handel und die Konsumenten?
- Bewertung: Alternativen werden aufgezeigt, um Unsicherheiten zu umgehen
- Kontrolle: Marktforschung und Marketing arbeiten Hand in Hand
- Selektion: Informationen aus dem Angebot und dem Produkt werden ermittelt
Marktforschung wird vor allem auch betrieben, um Zeit zu gewinnen und die richtigen Entscheidungen zu fällen. Dabei geht es auch darum, Ausgaben für das Marketing mittels Marktforschung zu rechtfertigen und als Argument für Budgetposten einzusetzen. Immer öfter werden Marktforschungsergebnisse auch als Instrument für Verbrauchergewohnheiten benutzt und für PR-Aktionen von Unternehmen verwendet. Durch Marktforschung kann ein Unternehmen eine Aussage über Konsumgewohnheiten treffen und diese als Argument für die Verwendung der Produkte einsetzen.
Marktforschung für den Konsumenten
Der heutige Konsument ist kritisch und möchte sich möglichst selbst eine Meinung zu Produkten bilden. Deshalb durchschaut er Verführungsversuche des Marketings schneller als früher und sucht nach Purpose, Nachhaltigkeit und Nachvollziehbarkeit bei Konsumartikeln. Die Marktforschung muss deshalb vermehrt von einem informierten und damit selbstbewussten und mündigen Konsumenten ausgehen.
Diese Konsumgesellschaft lässt die Marktforschung an ihre Grenzen stossen. Prägend ist dabei die Technisierung der Marktforschung: Online Befragungen haben markant zugenommen und zu einer Überflutung solcher Befragungen bei der Bevölkerung geführt. Das wiederum verursacht eine seit Jahren sinkende Bereitschaft zur Teilnahme solcher Online Befragungen. Wer sie durchführt, muss dem Nutzer einen Mehrwert bieten und ihm das Gefühl geben, dass er aktiv an der Entwicklung und Lancierung eines neuen Produkts teilnehmen kann.
Mit der Omnipräsenz von Social Media und den neuen Möglichkeiten des Web 3.0 haben die Konsumenten mehr denn je ein Bedürfnis nach direkter Kommunikation. Ihr Konsumverhalten kann nicht mehr nur mittels Marktforschung evaluiert werden, sondern die Konsumenten geben auf Online-Plattformen und Social Media direkt Feedback und suchen den unmittelbaren Austausch mit Unternehmen. Influencer repräsentieren heute die Kauf- und Konsumgewohnheiten vieler und lassen dem Unternehmen die Möglichkeit, sich direkt mit ihrer Zielgruppe auszutauschen.
Kunden äussern sich auf Social Media von selbst
Durch die Änderungen von Datenschutzgesetzen müssen Marktforscher Kunden direkt angehen und darauf hinweisen, dass ihre Daten für Marktforschungs- oder Werbezwecke verwendet werden. Das kann der Online Nutzer selbständig entscheiden, ob er das möchte oder nicht. Die Bildung von klar definierten Stichproben ist deshalb unabdingbar, um den Kreis von Befragten einzuschränken.
Die Befragung von solchen Panels wird heute auch gerne honoriert. Die Bedeutung der Online Befragung im Marktforschungsportfolio wird künftig aber noch weiter zunehmen und lässt mehr Daten zur Erhebung von Konsumverhalten zu. Das geht zu Lasten von Telefonbefragungen oder direktem Feedback zum Unternehmen.
Diese direktere Kontaktaufnahme bedeutet für Marktforschungsagenturen, dass sie auf den Social Media-Plattformen aktiv und auf verschiedenen Kanälen präsent sein müssen. Die Marktforschung muss künftig noch viel mehr in den direkten Dialog mit den Nutzern treten und ihnen die Möglichkeit bieten, auf verschiedenen Kanäle ihre Meinung kundzutun.
Dabei lassen sich klare Trends für die Zukunft der Marktforschung ausmachen:
- Crowd Research: Wenn man eine grosse Crowd online angeht, spart man Kosten und erhält eine breite Meinung von vielfältigen Nutzern.
- Social Listening: Die Reichweite von Social Media nimmt zu und zeigt die Meinung von Konsumenten mittels Kommentaren und Likes auf. Diese Daten werden auch zunehmend mit Künstlicher Intelligenz ausgewertet.
- Natural Language-Prozesse können Sprache lesen, entziffern und mittels KI auswerten. Dadurch kann das zeitintensive Lesen von Social-Media-Auswertungen oder Bewertungsportalen reduziert werden.
- Emotive Research ist einer der grössten Trends der Marktforschung zurzeit. Es soll das Gefühl der Menschen zu einem Produkt auch mittels Gesichtserkennung ergründen. Probanden werden direkt mit dem Produkt in Verbindung gebracht und einer Anwendern-Umgebung ausgesetzt.
- Qualitative Online-Forschung war lange Zeit gewisser Skepsis unterworfen. Die Corona-Pandemie und die dadurch entstandenen Lockdowns haben aber den persönlichen Kontakt mit einer Fokusgruppe unterbunden und es blieb gar keine andere Wahl, als qualitative Forschung online durchzuführen. Das hat zu einem Umdenken betreffend Qualität und Wert geführt.
- Mit Online-Communities besteht die Möglichkeit, eine gleichbleibende Anzahl von Konsumenten über einen längeren Zeitraum zu erforschen. Dabei lässt sich das Verhalten mit Engagements-Tools analysieren und die Probanden mittels Tracking an die Forschung binden.
- Dank neuen Online-Tools können sich Konsumenten heute selbständig durch einen Marktforschungsprozess navigieren und diesen dank nutzerfreundlichen Instrumenten selbst in die Hand nehmen. Mit dieser selbständigen Durchführung von Marktforschungserhebungen durch die Nutzer kann eine grössere Vielzahl von Umfragen durchgeführt werden.
Die Möglichkeiten der Online-Marktforschung werden künftig noch ausgeklügelter sein und das Verhalten der Nutzer direkt und in real-time auswerten können. Dabei können Nutzer direkt befragt werden, aber auch im Hintergrund lassen sich ihre Tätigkeiten auf den Sozialen Medien analysieren. Durch einfach navigierbare Tools können künftig auch mehr Usability-Tests von neuen Produkten online durchgeführt werden.
Das ermöglicht eine kostengünstige und zeitnahe Marktforschung, die einen direkten Impact auf die Entwicklung von neuen Produkten haben kann. Diese Mischung ermöglicht in den nächsten Jahren eine noch viel stärkere und genauere Aussagekraft von Online-Marktforschungs-Projekten.